Von Spitfires und Leoparden

Von Spitfires und Leoparden

Foto: Th. Hipp

Wenn unser Autor und Herausgeber Kurt Braatz unter seinen Fliegerkameraden ein bißchen auf den Putz hauen will, dann sagt er gerne beiläufig: „Ich bin übrigens Spitfire-Besitzer”, genießt für ein paar Augenblicke das ehrfürchtige Schweigen und klärt dann auf: der Spitfire (Triumph-Vierzylinder mit 69 PS, 160 km/h Spitze) ist seit 1978 sein Eigentum, die Spitfire (Rolls-Royce Griffon Zwölfzylinder mit 2.120 PS, 730 km/h Spitze) wird auf ewig nur durch seine Träume fliegen. Falls ihn jedoch nach Hubraum und Leistung gelüstet, kann er durchaus in die Vollen greifen: im Hauptberuf ist er nämlich Bereichsleiter bei Krauss-Maffei Wegmann (KMW), dem Hersteller des Kampfpanzers Leopard 2.

Das ist kein Teilzeit-Job, und daher sind sechs Jahre seit seiner Krupinski-Biographie vergangen, ehe Kurt Braatz ein neues Werk veröffentlichen konnte. Nun liegt es vor. Er schreibt über Robert von Greim, den letzten Oberbefehlshaber der Luftwaffe des Dritten Reiches. „Ich stand vor einem wahren Gebirge von Quellenmaterial”, erläutert Braatz. „Greim war ja schon im Ersten Weltkrieg als Jagdflieger sehr erfolgreich gewesen; er hat dann entscheidend beim Aufbau der chinesischen Luftwaffe mitgewirkt; wieder zurückgekehrt, betrieb er für die Weimarer Republik eine geheime Militärflieger-Ausbildung in Würzburg; er und Ernst Udet haben praktisch über die Luftrüstung des Dritten Reiches geherrscht, bis der Zweite Weltkrieg begann, und ab dann führte Greim vom ersten bis zum letzten Tag an der Front.” Ein Stoff, zu viel und zu vielschichtig für ein einziges Buch. Jetzt können Sie Band I hier auf der NeunundzwanzigSechs-Website bestellen. Er umfaßt Robert v. Greims Jagdflieger-Karriere im Ersten Weltkrieg, seine legendären Schaukämpfe mit Ernst Udet in den Nachkriegsmonaten und seine erste, unheimliche Begegnung mit dem noch völlig unbekannten Adolf Hitler im März 1920.


Zweimal Oettingen

Zweimal Oettingen

Oettingen, 06. Juni 1944. Julius Meimberg beim Appell vor dem Abflug der II./JG 53 an die Invasionsfront.

Als am frühen Morgen des 06. Juni 1944 das Telefon auf dem Gefechtsstand der II./JG 53 im schwäbischen Oettingen schrillte und deren Kommandeur persönlich am Apparat verlangt wurde, bekam der 27jährige Major nur drei Worte zu hören: Doktor Gustav West. Er wußte sofort, was das bedeutete: Die Alliierten waren in der Normandie gelandet. Seine Befehle für diesen Fall hatte er einem versiegelten Briefumschlag zu entnehmen, der ihm ein paar Tage zuvor von einem Offizier des Führerhauptquartiers ausgehändigt worden war.

Der Major hatte mit den fliegenden Teilen seiner Jagdgruppe unverzüglich von Oettingen über Le Mans ins bretonische Vannes zu verlegen; für alles andere landeten in den nächsten Stunden zehn Ju 52 auf dem Platz, um ihm – vollgepackt mit Bodenpersonal und Gerät – zu folgen. Er ließ die 50, 60 Flugzeugführer seiner vier Staffeln sofort im Karrée vor der Kommandantur des Einsatzhafens antreten, orientierte sie kurz und befahl wegzutreten, damit jeder von ihnen an persönlichen Habseligkeiten packen konnte, was sich in seiner Me 109 verstauen ließ. Leutnant Karl Paashaus, der Kapitän seiner 5. Staffel, fand noch Zeit für einige Zeilen nach Hause: „Liebe Eltern, heute kam die Invasion und damit für uns der schwerste Kampf, den wir zu bestehen haben werden… Ich schreibe Euch noch in Eile diesen Brief, da Ihr sicher in nächster Zeit nichts mehr von mir hören werdet. Wenn ich fallen sollte – ich glaube, das als sicher anzunehmen –, dann wißt ihr ja, daß ich als anständiger Soldat an der Spitze meiner geliebten Staffel gefallen bin. In herzlicher Liebe Euer Junge.“ Kurz darauf dröhnte der Himmel über dem Rollfeld vom Fortissimo der abfliegenden Messerschmitts.

Drei Wochen später waren von der Jagdgruppe nurmehr 18 Piloten und neun Maschinen übrig, unter ihnen der 23jährige Karl Paashaus. Er lebte noch einen weiteren Monat; dann wurde er am Fallschirm erschossen. –

Sonntag, 18. Mai 2008. Wieder steht der Kommandeur der II./JG 53 auf dem Rollfeld des Einsatzhafens Oettingen, neben sich den Kapitän seiner damaligen 4. Staffel. Es schüttet aus Kübeln, aber Julius Meimberg und Günter Seeger verkriechen sich nicht unter Regenschirmen wie die hunderte Zuhörer vor ihnen, sondern stehen in den vorübertreibenden Schauerfahnen so aufrecht, wie es ihre neun Lebensjahrzehnte eben zulassen. Julius Meimberg macht es kurz, er will den frierenden und durchnäßten Menschen nicht zuviel zumuten, nachdem die Lokalpolitiker zu Wort gekommen sind, der Pfarrer das Denkmal hinter ihm gesegnet hat und der Generalmajor Reichardt vom Heer viel Kluges und Nachdenkenswertes über den Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte bemerkte.

Oettingen, 18. Mai 2008. Julius Meimberg (links) und Günter Seeger weihen das Denkmal auf dem ehemaligen Einsatzhafen ein.

Julius Meimberg sagt, daß der Krieg niemals die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein kann, sondern stets die Bankrotterklärung einer Politik bedeutet. Er sagt, daß er den Namen Gottes auf einem Koppelschloß für eine Gotteslästerung hält: „Gott mit uns’ hieß es einst auf preußischen Uniformteilen. Und wenn heute selbsternannte Gotteskrieger als lebende Bomben Unschuldige töteten, solle man sich dadurch nicht zum Haß auf ganze Religionen und Völker verleiten lassen – Pauschalurteile seien immer der Anfang vom Ende der Menschlichkeit gewesen. Er spricht über die Menschen, die unter seinem Befehl oder im Feuer seiner Waffen fielen. Über die Trauer, die dadurch in so viele Familien getragen wurde. Über die enorme Verantwortung, die auch heute jeder trägt, der Soldaten in den Kampf schickt. Er hat sorgfältig durchdacht, was er hier und heute sagen will. Aber nun ist er ein wenig verlegen angesichts der Reden, die vor ihm gehalten wurden und denen er rhetorisch kein weiteres Glanzstück anfügen kann und auch nicht will, denn er hat das alles selbst erlebt, worüber Nachgeborene hier bereits gesprochen haben – und weil er es selbst erlebt hat, weiß er, daß es keine Worte dafür gibt.

Denkmal, sagt er zum Schluß: in diesem Wort verberge sich eine Aufforderung zum Nachdenken. Sehr erstaunt sei er gewesen, als ihm vor einiger Zeit Werner Paa aus Oettingen einen Brief geschrieben habe: Paa und einige Nachdenkliche hatten dort auf dem Areal des längst umgepflügten und vergessenen Einsatzhafens dessen letzte Trümmer gefunden. Nun seien die Soldaten- und Reservistenkameradschaft der Region, engagierte Bürger und Werner Paa auf den Gedanken gekommen, aus diesen Fragmenten ein Mahnmal für die Opfer von Gewalt, Krieg und Vertreibung zu errichten. Erst dadurch habe er erfahren, daß auf dem Flugplatz auch alliierte Soldaten und Zivilisten ums Leben gekommen seien, lange nachdem er mit der II./JG 53 von dort an die Invasionsfront gestartet war, und daß in einem nahen Gefangenenlager sowjetische Soldaten an den Folgen von Hunger und Mißhandlungen starben. Danach hatten sich die Baracken mit 30.000 Flüchtlingen aus dem Sudetenland und Rumänien gefüllt.

Der Wiener Kunstgießer und Bildhauer Berthold Kretschmer, ein gebürtiger Oettinger, hatte aus den Eisen-, Aluminium und Betonfragmenten ein ebenso schlichtes wie beeindruckendes Monument geschaffen. Julius Meimberg zögerte trotz seiner 91 Jahre nicht, als Werner Paa ihn fragte, ob er die Reise aus dem westfälischen Münster ins Nördlinger Ries auf sich nehmen wolle, um an der Einweihung des Denkmals teilzunehmen.

Es hat sich gelohnt. Wuchtig ragt der tonnenschwere Betonquader aus scheinbar unberührter Idylle ins Land, flankiert von einem Kreuz aus Eisenbahnschienen. Er spricht, auch nachdem alle Reden verklungen sind. Wer Ohren hat, der höre. –


Jungmänner

Jungmänner

Jungmänner. Oberleutnant Günther Rall im Zweiten Weltkrieg…

Flugplatz Landshut-Ellermühle, ein Sonntagabend im Frühherbst. Das Sonnenlicht wandelt sich schon zu sanftem Ocker, die Schatten werden länger, ein seidiges Lüftchen weht übers Vorfeld. Aus dem Hangar des Fliegerclubs schlendern zwei Männer in lebhafter Unterhaltung zu der elfenbeinfarbenen Bücker 131. Der ältere der beiden schwingt sich auf die untere Tragfläche des Doppeldeckers und über die Bordwand in dessen vorderes Cockpit. Seine Bewegungen wirken routiniert und sportlich. Jeder Griff sitzt. Er fliegt den munteren Vogel offensichtlich nicht zum ersten Mal.

Das nicht – aber die Tage, an denen er beruflich mit dem agilen ’Jungmann’ über Oberbayern herumtobte, sind exakt 70 Jahre her. Am 29. August 1938 war er auf die Bücker eingewiesen worden und hatte gleich danach seinen ersten Alleinflug mit ihr. Als Start- und Zielort steht der Fliegerhorst Neubiberg in seinem Flugbuch, und ganz vorne in der Spalte ’Führer’: Oberfähnrich Rall.

Die Laufbahn, die da so harmlos auf einer A/B-Fliegerschule der Deutschen Luftwaffe begann, zählt heute zu den bemerkenswertesten in der Geschichte der Luftfahrt. Günther Rall wurde Jagdflieger, schoß im Zweiten Weltkrieg 275 Gegner ab und wurde selbst achtmal unfreiwillig vom Himmel geholt. Eine mehrfach gebrochene Wirbelsäule und der Verlust des linken Daumens hielten ihn jedoch nicht davon ab, an die Front

…und im Herbst 2008 nach einem Ausflug mit der Bü 131 Jungmann.

zurückzukehren und die ihm anvertrauten Soldaten bis zur Kapitulation zu führen. 1956 trat er in die Bundeswehr ein und machte den ’Starfighter’ truppentauglich; ihn flog er noch 1975, als er längst Drei-Sterne-General war und Deutschland in den Führungsgremien der NATO vertrat.

Aber die Bücker – das ist für den mittlerweile 90jährigen das Wiedersehen mit einer Jugendliebe, die in all der Zeit nichts von ihrer Anmut verloren hat. Er sitzt im Cockpit und nimmt einen tiefen Atemzug, denn Flugzeuge duften so unverwechselbar wie Frauen. Noch einmal rückt er sich auf dem Fallschirm zurecht, zieht die Gurte stramm und schließt die Einstiegsklappe. Es kann losgehen. Günther Rall hat schon lange keinen gültigen Pilotenschein mehr, und daher nimmt hinter ihm Markus Gilch, der Besitzer des Jungmanns Platz. Keine fünf Minuten später sind die beiden in der Luft und verlassen die Landshuter Platzrunde nach Süden, Richtung Chiemsee. Es dauert eine gute halbe Stunde, bis man das charakteristische Nageln des Vierzylinders wieder hört.

Und – wie war’s? Günther Rall strahlt. „Wahnsinnig langsam, wenn man zuletzt die F-104 geflogen ist. Das hat mich völlig überrascht, denn der ’Jungmann’ war damals für uns der Inbegriff des Sport- und Kunstflugzeugs. Aber wenn man ihn so nimmt, wie er ist – dann macht’s immer noch einen Mordsspaß. Fliegen pur!“


Leserpost

Leserpost

Diese Zuschrift halten wir für ein solches Prachtexemplar freier Meinungsäußerung, daß wir sie Ihnen, sehr verehrte Besucher unserer Internetseiten, nicht vorenthalten wollen. Der anonyme Absender faßt prägnant zusammen, was Sie in unserem Verlagsprogramm vergeblich suchen: Hitlerkult, Kriegsverherrlichung, Nationalismus und Rassismus.

Die meisten unserer Autoren haben diese Segnungen des Dritten Reiches bis zur Neige auskosten dürfen; sie haben dafür mit ihrer Jugend und ihrer Gesundheit bezahlt. Der Dank des — vom Postkartenschreiber vermutlich heißgeliebten — Führers bestand in ein paar Orden. Das Schicksal seiner Soldaten war ihm egal.

Heute ziehen diese Männer in ihren Erinnerungen ehrlich und kritisch Bilanz. Sie fühlen sich verpflichtet, ein Vermächtnis zu hinterlassen, das nachfolgenden Generationen etwas nutzt. Von dem so mutigen Postkartenschreiber deswegen als Antifa-Schwätzer und Schmierfinken bezeichnet zu werden, beweist ihnen allenfalls, daß sie mit ihrer Verachtung für Seinesgleichen richtig liegen.


Oshkosh

Oshkosh

Vier auf einen Streich: die NeunundzwanzigSechs-Autoren Wolf Czaia, Günther Rall, Bud Anderson und Kurt Braatz…

…nach einem Vortrag in der Warbirds-Area in Oshkosh.

Manche Augenblicke gibt’s nur einmal im Leben, und einen solchen Moment im Leben von NeunundzwanzigSechs zeigt dieses Bild. Unsere Autoren sind über die halbe Welt verteilt: Günther Rall und Kurt Braatz leben in Oberbayern, Julius Meimberg in Westfalen, Paul Zorner im Saarland, Bud Anderson in Kalifornien und Wolf Czaia auf einer Insel im äußersten Nordwesten der USA. Aber am 30. Juli gelang es, vier der sechs auf einem einzigen Bild zusammenzubringen. Der Ort: Oshkosh, Wisconsin. Der Anlaß: Vorträge der vier bei der diesjährigen EAA AirVenture, dem weltweit größten Treffen von Besitzern und Bewunderern sogenannter Experimentals – einzeln zugelassener, seltener Flugzeuge aus der gesamten Luftfahrtgeschichte. Die Fotografin: Connie Bowlin, Warbird-Pilotin und weltweit einzige Frau mit einer Typenberechtigung für die B-17 Flying Fortress.

Und warum da so gelacht wird? Weil Bud Anderson versucht, seinem langjährigen Freund Günther Rall noch schnell seine Mütze der 357th Fighter Group aufzusetzen, bevor Connie auf den Auslöser drückt. Denkste…

Aber nun der Reihe nach.

Langatmige Erläuterungen zu Oshkosh erübrigen sich wohl vor Besuchern dieser Website, und daher seien nur einige nüchterne Zahlen genannt. Ende Juli/Anfang August besuchten rund 580.000 Menschen die AirVenture, und da es sich eigentlich um ein Pilotentreffen handelt, trudelten zwischen 10.000 und 12.000 Flugzeuge dort ein. Der Flughafen Oshkosh, ungefähr so groß wie der Hamburger Flughafen, ist mit dieser Luftflotte restlos zugeparkt und bietet ein ziemlich imposantes Bild. Unter den Tragflächen wird gezeltet, an den Rollwegen und Startbahnen gibt es von 06:00 Uhr morgens bis 20:00 Uhr abends pausenlos Interessantes zu sehen. Oshkoshs Tower hat in der Veranstaltungswoche mehr als das dreifache des Verkehrs zu bewältigen, der im gleichen Zeitraum am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen anfällt. Wer mehr wissen will: http://www.airventure.org/.

Für die klassischen Militärflugzeuge sind zwei riesige Abstellflächen reserviert, auf denen es vor fliegenden Raritäten nur so wimmelt. Mustangs gibt es im Dutzend, Corsairs ebenso, dazwischen finden sich P-38 Lightnings, P-40 Kittyhawks, P-47 Thunderbolts, sämtliche Grumman-Jäger des Zweiten Weltkriegs, Hawker Hurricanes und Furies, Spitfires, Jak-9. Nicht etwa hinter Absperrgittern, sondern für jedermann zugänglich. Wer es lieber mehrmotorig mag, kann zwischen verschiedenen B-25, A-26, weiteren Zweimots der USAAF, einer Lancaster aus Kanada und zwei B-17 wählen. Freunde strahlgetriebener Jäger treffen in Oshkosh auf F-86, F-5, MiG-15 und MiG-21 sowie Unmengen von Jet-Trainern, alle in Privatbesitz und besser in Schuß als zu ihren aktiven Zeiten.

Aber es wird nicht nur ausgestellt, sondern auch vorgestellt. Connie Bowlin hat zwischen all den Kostbarkeiten – es waren dieses Jahr genau 355 – eine Vortragsreihe mit dem Titel „Warbirds in Review“ etabliert. Zweimal täglich wird jeweils eines der Kriegsflugzeuge auf eine Zuschauerplattform gerollt, und ein Veteran spricht über seine Erlebnisse mit dem betreffenden Flugzeugmuster. Die beiden angekündigten Messerschmitts – eine Bf 109 E aus Texas und eine spanische aus Kanada – fielen leider in letzter Minute aus. Also berichteten Günther Rall und Robert J. „Shortie“ Rankin vor einer Thunderbolt über ihr erstes Zusammentreffen am 12. Mai 1994 über dem Westerwald. Es endete damit, daß Rankin mit einem Feuerstoß aus den Waffen seiner P-47 den Deutschen von seinem linken Daumen befreite und zum Fallschirmabsprung zwang.

Und hier sind wir an einem entscheidenden Punkt: daß Oshkosh nämlich nur vordergründig für fliegendes Schwermetall steht. Der wahre Charakter dieses Treffens liegt in den Begegnungen zwischen ehemaligen Gegnern, zwischen Menschen aller Generationen und Ursprünge, die durch die Liebe zum Fliegen verbunden sind. Da sitzt Chesley Sullenberger, der Flugkapitän, der am 15. Januar 2009 einen Airbus mit 155 Passagieren auf dem Hudson River notwasserte, fasziniert zwischen den Zuhörern. Hollywood-Legenden wie Cliff Robertson und Harrison Ford outen sich als Leser der Rall-Biographie und freuen sich wie kleine Jungs darüber, daß sie dem Autor nun endlich mal die Hand schütteln können. Der ehemalige X-15-Pilot und mehrfache Space-Shuttle-Commander Joe Engle steht geduldig für eine Widmung in sein Buch an. Nebenan fachsimpelt Thomas Enders, der Airbus-Chef, mit Wolf Czaia über dessen Testfliegerei mit der neuen Me 262.

Nach drei prall gefüllten Tagen verbrachten Günther Rall und Kurt Braatz noch eine halbe Woche bei Connie und Ed Bowlin in Georgia. Dorthin ging’s natürlich nicht mit einem Linienflug, sondern in einer DC-3 Dakota. Die Bowlins haben in Griffin bei Atlanta mit 21 weiteren Piloten einen eigenen Flugplatz gebaut, dessen 900 Meter lange Asphaltpiste mit jedem Wohnhaus der Eigentümer verbunden ist. Wo Normalsterbliche eine Garage besitzen, steht hier jeweils ein Hangar. Im Falle der Bowlins enthält er zur Zeit eine North American T-6, eine Piper Cub, eine Beech Bonanza, eine zweimotorige Cessna 421 und eine Van’s RV10A. Wer Lust hat, geht von Wohnzimmer direkt rein, zieht sich eine Maschine ins Freie und fliegt ein wenig. Das haben die beiden deutschen Gäste dann auch weidlich genutzt!

Hier sind nun einige Bilder dieser denkwürdigen Reise und der Link zu einer Reportage, die Kurt Braatz für die Süddeutsche Zeitung über Oshkosh geschrieben hat: http://www.sueddeutsche.de/automobil/308/483750/text/

Ach, und bevor wir es vergessen: die Palette unserer Autoren wird sich demnächst erweitern. Um einen Franken. Mehr wird noch vor Weihnachten an dieser Stelle verraten!

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Das Unbekannte und die Pflicht

Das Unbekannte und die Pflicht

Diskussion über das Vorwort zu ‚Unbekannte Pflicht’. V. l. n. r. Günther Rall, Kurt Braatz, Peter Cronauer und Walter Wolfrum.

Es war einer jener vollkommenen Sommertage des Jahres 2009, die uns unauslöschlich im Gedächtnis bleiben: Tage voller satter Farben, Vogelgezwitscher und Blütenduft, an denen sich jeder ins Freie sehnt. Walter Wolfrum und Peter Cronauer hatten das Manuskript zu ‚Unbekannte Pflicht’ gerade fertiggestellt, und nun ging es noch um das Vorwort, das Günther Rall zu den Erinnerungen seines Geschwaderkameraden beisteuern wollte – eine willkommene Gelegenheit, sich bei ihm in Bad Reichenhall zu treffen, damit alles Notwendige besprochen und abgehakt werden konnte.

So verbrachten wir den ganzen Nachmittag um den eisernen Gartentisch: die beiden Jagdflieger, der Herausgeber und der Verleger der jüngsten NeunundzwanzigSechs-Biographie. Das Schreibzeug und die Blätter mit den Stichworten blieben in den Taschen, das hätte alles nur den freien Fluß der Gedanken und Erinnerungen gestört. Lediglich ein unauffälliges Aufnahmegerät hielt fest, was die beiden alten Adler über jene Zeit von Februar 1943 bis April 1944 lebendig werden ließen, in der sie beide beim JG 52 am Südabschnitt der Ostfront flogen: der eine als 19jähriger Neuling, der fast an seiner Erfolglosigkeit verzweifelt wäre, der andere bereits hochdekoriert und mit einer Abschußliste, die sich fast täglich verlängerte.

Am 04. Oktober 2009 um 13:00 Uhr – ‚Unbekannte Pflicht’ befand sich gerade im Druck – ist Günther Rall verstorben.

Manchmal streifte er im Gespräch das Ende. Eher nebenbei, weil er sich nicht gerne mit Unabänderlichem aufhielt, sondern ein Leben lang lieber seine Gestaltungsspielräume suchte. Er warf dann lässig hin, daß er auf dem ‚final approach’ sei oder sprach ein wenig sarkastisch vom ‚aufamseln’, und damit hatte es sich. Verzagtheit vor der letzten Stunde kannte er nicht, denn seit seiner Jugend waren ihm so viele Freunde und Kameraden genommen worden, daß er sich immer verwunderter, ja zunehmend verstört fragte, was der Herrgott eigentlich auf dieser Erde noch von ihm erwarte. Uns so tat er, was er für geboten erachtete, mit jener Mischung aus Disziplin, Energie und unerschütterlicher Menschenfreundlichkeit, die so vorbildlich an ihm war. Obwohl seit Jahrzehnten ganz auf sich gestellt, führte er ein gastliches Haus. Er gab die Erfahrungen seiner 91 Lebensjahre weiter, ohne je belehrend zu wirken, liebte leidenschaftliche Debatten, stand als Zeitzeuge Rede und Antwort, blieb seinem Beruf aufs Engste verbunden und pflegte alte wie neue Freundschaften.

In letzter Zeit hatte er ein wenig kürzer getreten, aber gerade war er wieder aus den USA zurückgekehrt von einer Reise, die ihm viel bedeutete: Noch einmal mit Shortie Rankin zusammentreffen, der ihm am 12. Mai 1944 über dem Taunus seinen linken Daumen vom Gashebel seiner Me 109 weggeschossen hatte; noch einmal mit Bud Anderson, der im Zweiten Weltkrieg zu den Besten auf der P-51 Mustang zählte, an einer flight line entlangschlendern; noch einmal einem staunenden jungen Publikum demonstrieren, daß nicht der Krieg der Vater aller Dinge ist, sondern nur der Frieden Bleibendes schafft. Er machte keine großen Worte darum. Er wußte, daß allein das Beispiel wirkte – das Beispiel von Männern, die sich einst im Kampf begegnet waren und es als Glück ihres Lebens begriffen, damals nicht gut genug geschossen zu haben.

„Die mich für meine 275 Abschüsse bewundern, wissen nichts vom Krieg“, schloß er seine Erinnerungen unter dem Titel ‚Mein Flugbuch’. „Sie wissen nicht, was es für ein ganzes Menschenleben bedeutet, daß man in jungen Jahren töten mußte, um selbst nicht getötet zu werden. Sie kennen die Scham und die Trauer des Überlebenden nicht. Der Krieg ist nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern eine Schande; er ist der völlige Bankrott politischen Handelns.“

Sein Tod traf ihn aus heiterem oberbayerischem Himmel. Morgens noch ein launiges Telefongespräch mit Wolfgang Czaia und Kurt Braatz, die er zum Mittagessen erwartete – und als die beiden Freunde kaum zwei Stunden später eintrafen, war er bereits unter Intensivbehandlung, ohne wieder zu erwachen. Sein starkes Herz schlug noch zwei volle Tage. Humorvoll, wie er war, hätte er das wahrscheinlich eine ganz ordentliche Kurzlandung genannt, wenn auch ein wenig unterm Gleitpfad.

Er zählte zu den unabhängigen und skeptischen Köpfen seiner Generation: der Generation jener, die von ihren Eltern in den Zweiten Weltkrieg geschickt worden waren und die das 20. Jahrhundert nach 1945 entscheidend prägten. Kaum 22jährig, wurde er Staffelkapitän und trug damit Verantwortung für mehr als 100 Mann, nachdem sein Vorgänger in der Luftschlacht um England gefallen war. Anderthalb Jahre darauf erlitt er selbst einen dreifachen Bruch der Wirbelsäule, als er über der Sowjetunion abgeschossen wurde. Günther Rall hätte auf einer bequemen Stabsstelle weiterdienen können, kehrte aber nach langwieriger Genesung an die Front zurück, weil er die Soldaten nicht alleinlassen wollte, die seinem Befehl anvertraut waren. Er bezwang 275 Gegner und wurde dafür hoch ausgezeichnet. Gleichzeitig ermittelte die Militärjustiz gegen ihn, weil seine Frau einer Reihe jüdischer Freunde 1938 zur Ausreise nach England verholfen hatte. Während des Krieges mußte er achtmal notlanden oder mit dem Fallschirm abspringen. Er kam schließlich in amerikanische Gefangenschaft und schaffte danach den Aufbau einer zivilen Existenz.

Als ihn das ‚Amt Blank’ zehn Jahre später bedrängte, wieder Soldat zu werden, war Günther Rall in der Leitung der Schloßschule Salem am Bodensee tätig und zögerte lange mit seiner Zusage. Er gab sie letztlich in der Überzeugung, daß die Bundesrepublik Deutschland als Teil eines westlichen Bündnissystems gegen neue militärische Abenteuer gefeit sei. 1956 trat er in die Bundeswehr ein, wurde in den USA zum Jetpiloten ausgebildet und erhielt die Projektleitung für das heikelste Vorhaben der neuen Armee: die Einführung des Waffensystems F-104 Starfighter. Technologisch und fliegerisch jenseits der Grenze dessen, was die junge Luftwaffe verkraften konnte, stürzte der Starfighter das Land in eine seiner schwersten politischen Krisen. Günther Rall trug maßgeblich dazu bei, die verheerende Unfallserie mit dem neuen Flugzeug zu stoppen: zunächst an der Seite des damaligen Luftwaffen-Inspekteurs Johannes Steinhoff und ab Januar 1971 als dessen Nachfolger. Nach zwei Jahren an der Spitze der Luftwaffe wurde er als Ständiger Vertreter der Bundesrepublik in den Militärausschuß, das höchste militärische Entscheidungsgremium der NATO nach Brüssel berufen. Dort trat er ohne öffentliches Geräusch, aber entschieden und wirkungsvoll für die Entspannungspolitik seiner Regierung ein. Im Oktober 1975 ging Günther Rall als Generalleutnant in den Ruhestand.

Die Versuchung, weiterhin in Tagesfragen der Verteidigungspolitik mitzumischen, hat er nie verspürt. Der weiteren Expansion der NATO und ihrem Engagement außerhalb ihres Vertragsgebiets begegnete er jedoch so besorgt, daß er sich zum NATO-Gipfel 2009 in Baden-Baden mit einem Interview in der Süddeutschen Zeitung zu Wort meldete, in dem er eindringlich auf seine Kriegserfahrungen verwies. Das brachte ihm Respekt in allen politischen Lagern. Am meisten aber hat ihn der herzliche, zustimmende Brief gefreut, den er daraufhin von Helmut Schmidt erhielt. Der langjährige Bundeskanzler war einst als Verteidigungsminister sein Vorgesetzter gewesen.

Mit Schmidt verband ihn viel. Da ist zuerst die Loyalität zu seinem Vaterland zu nennen – eine Loyalität, die ihm vor allem im Ausland viel Achtung einbrachte, weil sie stets offen blieb für die Interessen anderer und ihre Argumente. Nicht minder überzeugte er durch sein klares Bekenntnis zur westlichen Wertegemeinschaft gerade dort, wo er fand, daß diese Werte standhaft gegen einen gewissen Relativismus geschützt werden mußten, und schließlich beeindruckte er bis ins hohe Alter durch seine Pflichtauffassung. „Klar und fordernd in seinen Zielen“, betonte Generalleutnant Klaus-Peter Stieglitz, der Inspekteur der Luftwaffe, in seiner Trauerrede, „hat er sich dabei selbst immer mit all seiner Tatkraft und Energie für die Luftwaffe und ihre Menschen eingesetzt. Was er forderte, das lebte er vor. Als Inspekteur definierte er Strecken und stellte Weichen, die zum Teil auch heute noch Einfluß auf die Auftragserfüllung unserer Luftwaffe haben. Auch als Inspekteur im Ruhestand hat er die Verbindung zu seiner Luftwaffe gepflegt. Er ist mir und sicher auch vielen anderen als stets kundiger, kritischer und sehr eloquenter Redner, vor allem aber durch seine herzliche und Andere gewinnende Art von vielen Veranstaltungen in guter Erinnerung. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle ganz besonders sein Engagement für unsere jungen Kameraden: Er hat es sich nie nehmen lassen, Offizieranwärtern der Luftwaffe als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen und sie an seinen vielfältigen Erfahrungen teilhaben zu lassen. Daß sie ihn im Jahr 2002 zum Mentor des 89. Offizierlehrganges ausgewählt haben, zeigt für mich, welch hohen Stellenwert die generationsübergreifende Kommunikation in unserer Luftwaffe besitzt.“

Wohl selten ist das Leben eines deutschen Soldaten auch international so bewegend in Nachrufen gewürdigt worden. Hervorgehoben seien hier nur die ganze Seite, die der Londoner ‚Daily Telegraph’ Günther Rall widmete, sowie die Beiträge in der ‚Times’ und im ‚Wall Street Journal’. Aber mehr noch als dies wiegt vielleicht die Tatsache, daß die russischen Luftstreitkräfte unter den Ersten waren, die den Hinterbliebenen ihres ehemaligen Gegners kondolierten.

„Wir verneigen uns vor einem großen Soldaten“, schloß der Inspekteur in der evangelischen Stadtkirche von Bad Reichenhall. „Wir trauern um eine bedeutende Persönlichkeit, einen guten Kameraden, einen herausragenden Luftfahrzeugführer. Sein Name und sein Schaffen bleiben in der Geschichte der Luftwaffe der Bundesrepublik Deutschland und in der NATO unvergessen. Günther Rall hat sich um Deutschland, die Bundeswehr und die Luftwaffe verdient gemacht.“


Allegro am Himmel. Zum Tod von Walter Wolfrum.

Allegro am Himmel. Zum Tod von Walter Wolfrum.

Peter Cronauer und Walter Wolfrum.

Er zählte zu den Stillen im Lande, obwohl er mehr hätte berichten können als viele Andere. Walter Wolfrum, groß und ungebeugt auch noch im Alter, mied öffentliche Auftritte, wenn sie ihm Selbstdarstellung und rhetorisches Feuer abverlangten. In der Flut immer flacherer Fernsehdokumentationen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, die seit Jahren über uns hinwegrollt, sucht man seinen markanten Kopf und sein fränkisches Idiom vergeblich. Er war kein Dauergast auf Podien oder in Signierstunden, von Veteranentreffen ganz zu schweigen. Walter Wolfrum war Künstler, und wie jeder ernsthafte Künstler suchte er seinen Ausdruck nur in seiner Kunst, nicht im Geschwätz.

Wolfrums Kunst war das Fliegen. Der Kunstflug.

Seine Meisterstücke sind uns als Aresti-Piktogramme erhalten geblieben: ein scheinbares Wirrwarr merkwürdiger geometrischer Figuren auf vergilbtem Papier, gerade groß genug, um ans Instrumentenbrett einer Wettkampfmaschine geklemmt zu werden. Wer diese Notation des Kunstflugs zu lesen versteht und weiß, auf welchen Instrumenten Walter Wolfrum seine Stücke spielen mußte, kann nur staunen. Er hatte ein unglaubliches Gefühl für die Möglichkeiten und Grenzen seiner Flugzeuge. Die Programme, die er mit ihnen flog, schöpften ihr Leistungsvermögen bis ins Letzte aus und vermieden elegant ihre Schwächen, stets mit dem Willen zu einem Ganzen in Harmonie und Rhythmus. Heute, in der Zeit der Kohlefaser-Tragflächen, der überbordenden Triebwerksleistung und der gyroskopischen Manöver, mag man über ein solches Fünf-Minuten-Allegro achtlos hinweggehen. Aber heute ist Kunstflug bloße Demonstration von Kraft, Agilität, Belastbarkeit; damals, in Walter Wolfrums großer Zeit zwischen 1960 und 1985, war Kunstflug noch Ästhetik, und seine Komponisten schrieben Menuette über die Schönheit des Fliegens.

„Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen,” hat Friedrich Nietzsche einmal formuliert. Als Walter Wolfrum Ende der 1940er Jahre zum Kunstflug fand, hatte er die schonungslose Konfrontation mit der Wahrheit knapp überlebt. Er war Jagdflieger im Zweiten Weltkrieg gewesen, ein überaus erfolgreicher: Staffelkapitän mit ganzen 21 Jahren, 137 Abschüsse, Ritterkreuz. Das waren die äußerlichkeiten. Alles Inwendige, das er aus diesen Jahren mit sich trug, verschloß ihm den Mund. Es ist Peter Cronauer, seiner Sensibilität und seiner Geduld zu verdanken, daß dieser so großartige und bescheidene Flieger doch noch dazu bewogen werden konnte, seine Erinnerungen niederzuschreiben. Als Autor, Herausgeber und Verleger nach einem Titel für die Autobiographie suchten, sagte einer: Unbekannte Pflicht. Walter Wolfrum verhielt eine Weile, schien in sich hineinzuhorchen — und nickte den Einfall schließlich wortlos mit seinem charakteristischen, feinen Lächeln ab.

Anfang 2009 war das gewesen. Vital wie er war, dachten wir damals, daß wir noch viele gemeinsame Stunden auf der Terrasse seines Hauses oder am Tisch einer Fliegerkneipe mit Blick aufs Rollfeld verbringen würden. Seine Zurückhaltung schien ihm zwar angeboren, aber er konnte im kleinen Kreise guter Freunde ein fröhlicher, von jungenhaftem Witz überschäumender Unterhalter sein.

Es blieb ihm viel weniger Zeit, als alle glaubten. Am 26. August 2010 ist Walter Wolfrum verstorben. Der Tod klopfte nicht einmal an; wie ein Dieb hat er ihn mitten aus seinem 88. Lebensjahr gerissen.

Kurt Braatz


Lützow, Trautloft, Falck. Eine Fundsache.

Lützow, Trautloft, Falck. Eine Fundsache.

Manche Leute finden in einer vergessenen Scheune auf dem Land noch einen Bugatti 35, manche kennen Hangars auf namenlosen Flugplätzen in der ehemaligen UdSSR, die mit deutschen Kriegsflugzeugen vollgestopft sein sollen. Unsere Fundsache ist nicht ganz so monumental, aber nicht minder exklusiv. Sie entstand im Sommer 1944 irgendwo in Berlin und wurde auf 8 mm-Schmalfilm gebannt.

Drei junge Männer und eine junge Frau genießen die Sonne und ihre knappe Freizeit, wo es sonst nicht mehr viel zu genießen gibt. Sie heißen Günther Lützow, Wolfgang Falck, Hannes Trautloft und Marga Mayser. Lützow ist Kommandeur der 4. Fliegerschuldivision und verzweifelt um einen Ausbildungsstandard bemüht, der die überlebenschancen der jungen Jagdflieger angesichts der feindlichen Luftüberlegenheit erhöht. Falck erlebt täglich die Wahrheit als Einsatz-Stabsoffizier der Luftflotte Reich. Trautloft ist Inspizient der Tagjagd; er kommt gerade von der Invasionsfront in Frankreich, wo allein im Juli 1944 mehr als 1.000 deutsche Jagdflieger gefallen sind. Seine Verlobte Marga Mayser lebt noch, weil er das Ritterkreuz trägt, schon elf Jahre allen Nötigungen der Nazi-Führung widersteht, sich von ihr zu trennen, und sie mit seinen beiden Freunden versteckt, soweit es möglich ist — denn sie gilt nach den Rassegesetzen als Halbjüdin.

In zehn Monaten wird der verheerendste Konflikt der Menschheitsgeschichte vorüber sein. Hannes Trautloft und Marga Mayser werden heiraten, Wolfgang Falck eine kaufmännische Lehre beginnen. Nach Günther Lützow wird noch heute gesucht. Der 32jährige Vater zweier Kinder verschwand zwei Wochen vor Kriegsende spurlos am Himmel über Süddeutschland.


Bilderrätsel

Bilderrätsel

Dieses Foto zeigt einen 23jährigen Luftwaffenleutnant im Jahre 1943. Er flog bei der III./NJG 1 und war als Bordschütze an mehreren Nacht-Abschüssen englischer Bomber beteiligt. Bekannt wurde der Leutnant jedoch nicht durch seine Taten im Krieg. Er ist der letzte noch lebende Minister einer Adenauer-Regierung. Seine weitere Laufbahn führte ihn über die Position des Außenministers und Vizekanzlers der Bundesrepublik Deutschland bis ins höchste deutsche Staatsamt. Auf diesem Wege setzte er entscheidende Impulse für das Ende des Kalten Krieges und eine gesamteuropäische Friedensordnung. Volksnah ohne sich anzubiedern, gelang ihm als einzigem Bundespräsidenten sogar der Sprung in die Musik-Hitparaden.

Wer der Leutnant ist? Es steht in Sand und Feuer, der Autobiographie von Martin Drewes, die gerade neu bei NeunundzwanzigSechs erschienen ist.


Der Neue

Der Neue

Es war fast auf den Tag vor neun Jahren, im August 2002. Skeptisch kreisten wir mit der Mooney über der kurzen, buckligen Graspiste von Old Warden in der Grafschaft Bedfordshire nördlich von London. Quer durch die Landebahn: ein Feldweg, über den gerade ein Traktor tuckerte. Für einen Augenblick fragte sich wohl jeder im Cockpit, wie wir auf die Schnapsidee hatten kommen können, ein derart fragiles Flugzeug für diesen Trip zu wählen. Es half nur nichts; wir mußten ’runter. Von Landshut über Münster-Telgte nach Bonn-Hangelar, schließlich zwischen Calais und Dover über den Kanal und in weitem Bogen östlich um den überlasteten Luftraum der englischen Metropole herum: es wurde Zeit, zu landen.

Erwartet wurden wir außerdem. Die Shuttleworth Collection hatte zu ihrem großen Sommerflugtag auf dem schnuckeligen Platz geladen und bei der damaligen Gemeinschaft der Jagdflieger nach einem Battle-of-Britain-Veteranen gefragt, der zu dem Großereignis kommen wolle. NeunundzwanzigSechs-Autor ‚Jule’ Meimberg wollte. Am liebsten direkt und auf dem Luftweg. Und am liebsten mit mir und „…mit Willi.”

Raus aus dem Vollkreis und rein in die Platzrunde. Ich reduzierte Ladedruck und Drehzahl, dachte an nichts als an Fahrt, Sinkrate und Final Checks: Gas — Undercarriage — Mixture — Prop — Pump. Mit 75 Knoten rauschte die Mooney über den Zaun und setzte sich hin, rumpeldipumpel, Steuer schön gezogen halten, damit der Propeller bei diesem Wellengang nicht ins satte englische Grün säbelte, gottlob zuckelte keiner mehr in den Querweg hinein — Stillstand. Durchatmen. Fenster auf.

Das war der Augenblick, in dem mir Oberst a. D. Wilhelm Göbel auf dem rechten Sitz das Du anbot.

Willi Göbel ist Jagdflieger. Er kann nicht anders, selbst heute noch, jenseits der Siebzig und in vergleichsweise harmlosem Fluggerät. Zu seiner langen Luftwaffen-Laufbahn, die 1960 begann, gehören zwar auch Jahre als Kommodore eines Jagdbomber-Geschwaders, aber da wird er einsilbig. Er hatte schon als Leutnant das Ziel, „…mit dem G-Suit aus der Wache rauszumarschieren, wenn ich in Pension gehe”, und das ist ihm fast gelungen. Damals gehörte er zu den ersten, die in den USA auf der F-104 G ausgebildet worden waren. Er hat die Starfighter-Krise als Pilot beim JG 71 Richthofen in Wittmund erlebt und es auf 4.800 Flugstunden gebracht, davon 4.400 auf der F-104, der F-4 Phantom, dem Tornado und anderen Jets. Zum Drumherum gehören Flug- und Waffenlehrberechtigungen sowie unzählige Zahlen, Fakten, Daten und Anekdoten, die sein Elefantengedächtnis gleichsam auf Knopfdruck preisgibt. Nicht nur zur Bundesluftwaffe, sondern über die gesamten rund 100 Jahre deutscher Militärluftfahrt.

Kein Wunder, daß ihm diese Leidenschaft und seine unbestechliche Objektivität schon vor Jahren das Ehrenamt des Historikers der Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte eintrugen. Dort schreibt er zwar keine dicken Bücher — Jagdflieger tun so etwas nicht —, aber er forscht wie ein Studierter und ist so freigiebig mit seinem Wissen wie nur wenige in dieser Zunft. Nun allerdings hat er sich doch überreden lassen, größere Mengen Papier zu produzieren. Er ist Mitherausgeber der Tagebücher von Günther Josten, die gerade bei uns erschienen sind. Nicht von ungefähr — der hochdekorierte Kriegsflieger war mehrere Jahre sein Vorgesetzter in Wittmund gewesen; Willi Göbel hat erlebt, wie Josten das Geschwader ohne Rücksicht auf seine eigene Karriere und mit sicherer Hand durch die schlimmste Unfallserie manövrierte, die eine Luftwaffe je in Friedenszeiten erlebte.

Kurt Braatz